Asientrip 2 - aktualisiert 26.2.  2009



Wir laufen in den Innenhof mit der mir von einigen Fotos doch recht bekannten  Wunschwand. Wer Geld hat, kauft sich ein Holztäfelchen, schreibt seine Wünsche auf (erlaubt sind Gesundheit, Weltfrieden, Eheglück und ähnliches) und hängt sein Täfelchen über dutzende andere auf ein Häkchen. Da hängt es dann neben tausenden anderen und vielleicht schaut ja einer der Götter mal drauf, wenn er sich nicht grad über Hochzeitsfotografen amüsiert. Wir wählen die Billig-Variante: Ein weißes Blatt Papier trägt meinen Wunsch, wird in einem hübschen braunen Umschlag versteckt und den Göttern in einen Sammelkasten geworfen. Mir reicht das, ich hab in diesem Augenblick nur einen Wunsch. Am Nachmittag fällt mir ein, dass ich einen sehr dringenden vergessen habe, aber da ist es zu spät. Ein paar Stufen höher stehen wir dann vor dem eigentlichen Schrein. Hast du einen gesehen, hast…  Obwohl der hier sehr schön ist. Und im Innenhof beginnt die nächste Hochzeit mit einem schweigenden Umzug…




Wir überlegen kurz, was wir als nächstes machen. Uwe bringt wieder die Regenbogen-Brücke ins Spiel, aber es ist etwa so, als würde er Sauerbier anpreisen. Und ich will eigentlich auch nicht unbedingt 20 U-Bahn-Stationen weit fahren, dann 3 Kilometer laufen, nur um eine moderne Hängebrücke zu sehen. Ich schlage das Tokioter World Trade Center vor mit seiner Aussichtsplattform im 45. und Uwe ist eigentlich sehr zufrieden, nicht zum Hafen raus latschen zu müssen. Das WTC hat nette Lifte, nette Fengshui-Toiletten und nette Preise für einmal aus dem Fenster schauen.  Wir sparen uns das und investieren das Geld in die Mittagspause. Und da wir japanischen Tag haben, geht es diesmal nicht zu Starbucks sondern zu einer japanischen Café-Kette. Die kleinen Gerichte sind sehr französisch angehaucht und verführen zum Kleckern. Wir kriegen Uwe sauber genug, um noch mal ins Sony-Center zu fahren. Ich will unbedingt wissen, wie der kleine schwarze Multimedia-Kasten heißt, den ich gestern so toll fand. Und ich hab Uwe überzeugt, dass er sich ruhig den Super-Kopfhörer kaufen soll, in den er sich gestern verliebt hatte. Wir fahren also Richtung Ginza, laufen am International Forum vorbei zu Sony. Mann! Wir haben das drauf, als wären wir hier aufgewachsen. Vor Sony noch ein Erlebnis der besonderen Art: Wir überqueren die Kreuzung. Aber nicht irgendwie, sondern auf dem quer durchgehenden Zebrastreifen und zeitgleich mit den Wartenden an allen anderen Übergängen. Witzig. Bei Sony rauf in die Vierte, Verkauf für Ausländer, steuerfrei. Uwe probiert seinen Kopfhörer noch mal. Das Teil blendet wirklich fast alle Seitengeräusche aus. Der japanische Verkäufer, ein kleiner älterer Mann, hebt triumphierend den Finger und schaltet noch etwas an dem Kopfhörer an.  Erst leuchtet der Japaner vor Freude, dann leuchtet es in Uwes Augen glücklich und erstaunt auf. Eine Minute später verstehe ich: Ein Gefühl, als wäre man taub, als würden alle Geräusche weggesaugt. Gekauft. Den Media-Store kaufen wir nicht. A: zu teuer, B: bisher nur in Japanisch erhältlich. Aber wir wissen jetzt wenigstens, wie das Gerät heißt. 

Jo - das ist ein Shinkansen

Die Schmidtrichs wollen mal eher zu Hause sein, früh essen gehen, damit nicht wieder das Anstehen nach einem Restaurantplatz auf sie wartet. Im Hotel werden Werbefotos gemacht, wann werden wir jemals zu zweit wieder so ein Luxuszimmer in Tokio bewohnen. Und siehe da - die Berge hinter dem Rathaus sind noch deutlicher zu sehen. Klar probieren wir es noch mal, diesmal Nord-Turm. Man kommt kaum an eine Fensterscheibe. Dabei könne die Japaner doch ihren Vulkan jeden zweiten Tag sehen! Der Fuji heißt hierzulande übrigens nicht Fujijama, sondern Fuji-San. Herr Fuji sozusagen. Wieder wat gelernt. So und nun lasst den kleenen Frank mal vor!



Am Abend dann unser Lieblings-Japaner: der vom ersten Abend mit dem Schuhe-Ausziehen. Die Treter werden in kleinen Fächern verschlossen.  Uwe klagt über Grummeln im Magen. Bestimmt der rohe Fisch am Morgen oder das japanische Sandwich am Mittag. Wir sind schnell mit dem Essen und schauen danach noch in den Yodobashi nach Surround-Kopfhörern. Es ist alles toll, der Klang einmalig, aber der Preis halt auch, wenn es ein gutes Gerät sein soll. Hat Zeit, entscheide ich. Ich muss mal fotografieren, unglaublich diese Massen hier. Danach halten wir es genau eine Minute in einem Pachinko-Slot aus. Dicht an dicht sitzen die Japaner vor irgendwelchen Spielmaschinen, die alle einen Höllenlärm machen. Wer was gewinnt, bekommt kleine silberne Murmeln. Die meisten haben kleine Wäschekörbe voll mit dem Zeug neben sich, die sie später einlösen gehen. Der Lärm ist ohrenbetäubend, die Luft schlecht, jeder Zweite raucht. Hier getraue ich mich nicht, ein Foto zu machen. Zu viele Ordner. Außerdem sind wir froh, als wir wieder an der frischen Luft sind. Im Hotelzimmer beginnt bei Uwe der Durchfall und bei mir das Grummeln im Bauch. Japanische Tage sind nix für unsereins. 



7.12. Auf Wiedersehen Tokio, hallo Seoul!

Das Morgengrauen ist nicht immer günstig. Tokio auf den zweiten Blick. Ich möchte nicht in den Schachteln wohnen, die direkt an der Stadtautobahn stehen. Uwe meint, immer wenn er das sehe, freue er sich auf unser Haus mit Garten und Park. Das kann ich sehr verstehen. Der Bus bringt uns via Regenbogen-Brücke nach Haneda. Der Flugplatz ist auf eine künstliche Insel gebaut. Dank Gold-Card-Uwe können wir an dem Schalter mit den ganz wenig Leuten einchecken. Eigentlich falsch: Es steht niemand an, aber 5 Mann/Frau dahinter. Ich freue mich ein letztes Mal über die Freundlichkeit der Japaner. Mag es einstudiert sein, es bringt immer eine gewisse Entspannung in alles und auch gute Laune. Und ich hab gute Laune nötig. Magengrummeln und kaum Schlaf, ich seh bestimmt sowas von schlecht aus...  Die Lounge bietet nicht viel, aber freies Internet. Chat mit Sophie, Annika und meiner Mutter - es ist nach Mitternacht in Europa und alle sind wach. Ach ja, ist ja Sonnabend-Nacht bei Euch.


Fuji

Der Flug hat einen Höhepunkt und zwei Tiefpunkte. Tiefpunkt 1: Es gibt einen Film - Bottle shock" mit Alan Rickmann, Bill Pullmann und Dennis Farina. Es sieht witzig aus - aber es ist diese besch... Vor-Synchronisation. Gruselig. Tiefpunkt 2: Das Essen kommt. Wir sind beide am Kämpfen. Ich kann Fisch und Soja einfach nicht mehr riechen. Ich mumpel eine Weile auf einem Stückchen Schinken herum, esse dann den Pudding und lass den Rest stehen. Die Kracker könnten mir noch den Hunger stillen. Nein, können sie nicht: Brezeln mit Soja. Na dann nicht. Und nun noch das Highligt: Wir fliegen direkt am Fuji vorbei! Grandios. Man kann richtig in den Schlot hineinschauen. Nicht schlecht, All Nippon Airways!

In Seoul schneit es. Und der Eindruck von oben: Müllig und ungeordnet gegenüber Japan, dazu sind blaue Dächer seit etwa 50 Jahren in. Der Flughafen ist ziemlich modern und wird von Plattenbauten gesäumt, die Erich die Tränen in die Augen getrieben hätten. Das Wohnungsbauprogramm lebt! Die Vergangenheit holt einen doch immer wieder ein. Mich auch: Weggefliecht... ist mein Schal, im wahrsten Sinne des Wortes. Der liegt noch in der 777. Und es ist schweinekalt hier! Wir werden nicht kontrolliert, sind sofort draußen und lesen am Ausgang ein handgeschriebens Schild: Mr. Uwe Schmidt. Ab jetzt wird es lustig. Der Eiskunstlaufverband holt Mr. Schmidt ab und will ihn ins Best Western kutschieren. Dazu hat er eine aufgedonnerte Dame höheren Alters im Pelz und einen kleinen alten Mann geschickt, der der Lakai der Dame zu sein scheint. Wir wollen aber ins Ramada. Uwe erklärt der Dame, dass er ungefähr 5 Mails geschickt hat und eigentlich klar sein müsste, dass er erstmal privat in der Stadt ist. "No no", no Ramada, insistiert die Dame, "Best Western!" Uwe wird zunehmend "netter". Sie besteht auf ihrer Meinung und er schlägt ihr vor, doch mal den Verband anzurufen. Der Lakai hält schützend das Papierschild hinter die Dame, die nun telefoniert. Der Wind pfeift. Ich hab keinen Schal. Und Uwe lässt alle stehen und kauft erstmal Geld. Die Dame kriegt keine Verbindung. Es ist immer noch kalt und ein Taxifahrer fragt mich irgendwas mit "dong dong". Ich schüttle mal sicherheitshalber den Kopf. Nun hat die Toupierte endlich jemanden an der Strippe. Große Aufregung, dann umschauen nach Mr. Smit. Mr Smit nicht da, also krieg ich den Hörer ans Ohr gehalten: "Uwe?" - "Nein, ein Mitreisender, Uwe..." Ich rede ein wenig, aber auf der anderen Seite tut sich nichts mehr. Der Mann spricht nur Englisch. Ich erkläre kurz, dass Mr. Smit gleich da ist, und drücke der Dame ihr Handy wieder in die Hand. Sie guckt fragend und redet dann wieder auf jemanden ein. "Daebang dong Taxi?" Nein Danke! Uwe kommt, die Dame winkt und ruft: "Mr. Smit - Mr. Tang for You!" Mr Smit kennt keinen Mr. Tang und weigert sich hartnäckig, mit diesem zu sprechen. Ich könnte ausrasten! "Yeaonungpo Taxi dong?" - Ich hab bald mit allen Taxifahren Seouls gesprochen. Uwe lässt sich gnädigerweise herab, mit Mr. Tang zu sprechen. Und da lacht er plötzlich! "Hello Mike!", das hätten wir schon vor 5 Minuten und einer erregten Diskussion haben können. Mr. Tang heißt Chang, und den kennt Uwe natürlich. Vize des koreanischen Eiskunstlaufverbandes oder sowas. Nach weiteren 5 Minuten ohne Schal in der Kälte ist alles geregelt und wir bekommen ein Taxi - ins Ramada Seoul. Die Koffer passen nicht rein und werden hochkannt in den Kofferraum gestellt. Der Deckel wird mit einem Gummiband fixiert und es geht los. Seoul besteht nur aus Plattenbauten. In der Mitte ein riesig breiter Fluss. Der Highway ist voll und alles fährt nach Lust und Laune. Das Hotel steht an einer hübsch befahrenen Straße. Ist egal. Das Zimmer ist ordentlich. Uwe meint, es sei Klassen besser als die Zimmer im Best Western. Auch egal. Ich muss schlafen. Mr. Smit überlegt kurz, ob er sich auch hinlegen sollte - wie immer ist er eher eingeschlafen als ich.

Es dämmert schon wieder. Wir sind aber der Meinung, dass wir den Schlaf gebraucht haben. Im Hotel wollen wir nicht essen, also laufen wir einfach mal die Straße runter. Eine Bank brauchen wir auch noch. Als erstes kommt ein Restaurant, das den Charme der chinesischen Volkskommune hat. Voll erleuchtet, keine Gardinen, Plaste-Tische und Losungen überall. Nein danke. Etwas später finden wir einen dämmrigen Schuppen, vor dem kleine Schälchen mit glühenden Kohlen stehen. Hier gibt es koreanisches Barbeque. Uwe freut sich, ich bin neugierig und alles wird gut. 50 Schüsseln um uns herum, zwei Bier, eine Flasche koreanischer Wodka für 33.000 Won - das sind 18 Euro. Und geschmeckt hat es auch. Es ist küchentechnisch ein Land für meinen Bruder: Schärfe ist hier alles.

8.12. Unterwegs in Downtown Seoul

Oh Mann, schon wieder so schlecht geschlafen. Das Frühstück im Ramada kann sich sehen lassen. Ein Klavierspieler versucht zwar, unsere Tischgespräche zu übertönen, aber wir gewinnen. Das Wetter ist in Regen umgeschlagen. Wir mehren also ne ganze Weile im Zimmer rum, weil es nicht unbedingt nach draußen lockt. Uwe hat ein wenig zu arbeiten und ich versuche, im Tagebuch Anschluss zu halten. Dabei verzettele ich mich darin, ein Netzwerk zu bekommen. Das Hotelnetz müsste man bezahlen. Wir haben gerade eine 50.000-Dollar-Suite in Tokio hinter uns, wir können jetzt nix mehr für Internet bezahlen! :-)

Irgendwann latschen wir dann doch los und Onkel Uwe lamentiert den ganzen Weg bis zur U-Bahn, dass das NIIIIIIEMALS 600 Meter bis zu Station seien. Einen Tag später komme ich auf 700 Schritte...  Die U-Bahn ist super. Ich bin ja der Metro-Freak vor dem Herrn. Außer in Peking habe ich bis jetzt jede U-Bahn analysiert, in deren Nähe ich war. Seoul ist modern, aber in der Modernisierung. Und Seoul hat ein riesiges Netz. Eine Linie hat 70 Stationen.

Getrockneter Fisch gefällig?

Wir steigen einmal um und schließlich am Namdaemun-Markt aus. Ein Asia-Markt, wie er im Buche steht. Es gibt irgendwie alles, es gibt alles 20 mal und es sieht alles billig aus. So billig, dass wir besser nichts kaufen. Da hat ein Asia-Markt in Thailand doch mehr Klasse. Witzig sind Stände, die nur Ginseng-Produkte verkaufen. Ginseng eingelegt in Flaschen, Ginseng-Pillen, Ginseng gemahlen, Ginseng frisch, Ginseng-Paste, Ginseng-Bilder...

Uwe kennt sich aus: Wir kommen am legendären Stadttor heraus, das vergangenes Jahr abgebrannt ist. Laut Mr. Smit war es zwei Tage später eingerüstet. Ist es immer noch. Wir machen Beweis-Bilder - Frank war da. Als das Tor (es ist übrigens National-Monument Nr. 1) abbrannte, war Uwe auch gerade in Korea. Und ich saß auf Arbeit. Ich hab es ihm gemailt und in die Nachrichten wurde das Tor von Holger auch noch gehievt. Das Beweisbild ist dementsprechend für die Kollegen gedacht.

 

Seoul ist eigentlich unschön. Die Stadt hat vielleicht mehr Grün als Tokio und ein, zwei Tempel mehr, aber trotzdem hat Tokio irgendwie etwas und Seoul hat es nicht. Vielleicht bin ich auch ungerecht, mein Magen grummelt und ich bin genervt. Uwe kündigt mir eine Oase der Ruhe mitten in Seoul an und schleppt mich auf eine der verkehrsreichsten Straßen, die ich je gesehen habe. Ach ja - Verkehr. In Korea gibt es nur große Autos. Uwe meint, die Koreaner hätten bisher noch nicht mal das Wort für Kleinwagen erfunden. Meine Theorie ist, da sie alle in so kleinen Buchten leben, ist das Auto zusätzlicher Wohnraum, in dem immer ein Teil des Besitzes verstaut wird. Diese Theorie wird auch dadurch gestützt, dass alle getönte Scheiben haben, so dass man nicht sehen kann, ob gerade Bücher oder Wäsche auf der Rücgbank lagern. Die getönten Scheiben können natürlich auch nur dafür da sein, dass der Fußgänger nicht erkennt, wer ihn da gerade angefahren hat. Nun zu der Oase. Wir stehen also im vollen Verkehrslärm und zwischen zwei Wolkenkratzern. Eine kleine Fläche hinter uns und ein paar Stufen nach unten.  Ich nenne es ein Wasserspiel, Uwe sagt: "Viel mehr, hier entspingt ein Fluss!". Wir laufen ein Stück im künstlichen Flusstal mitten in der Stadt. Man hört noch den Lärm, aber das Wasser übertönt doch einiges. Am Anfang gibt es nur ein steiniges Becken und von den Seiten viele kleine Zuflüsse.

Die kleinen Koreaner! Haben hier einfach einen Fluss nachgebaut – von der Quelle bis zur Mündung. Nach dem engen Gequirle am Anfang folgen Stromschnellen, Algen im Flussbett, erste seichte Stellen. Dann ein Wasserfall, Schilf, Gras am Ufer. Vielleicht ist es ein bestimmter koreanischer Fluss, den sie hier nachgebaut haben, ich bekomme es nicht heraus. Die Oase bleibt und mutiert zugleich zur Ausstellung. Zunächst ein archäologischer Ausflug: Am Ufer liegen riesige behauene Steinquader, die jahrhundertelang zum Uferschutz eingesetzt worden waren. Es hat hier also wirklich mal einen Fluss gegeben. Im 17./18.  Jahrhundert wurde er erst zugemüllt und dann entweder zugeschüttet oder überbaut. Ich bin zu faul, lange über die englisch-sprachigen Erklär-Texte nachzudenken. Vor etwa 10 Jahren hat die Stadt sich dann den neuen Fluss geschaffen. Unter einer Straßen-Brücke – wir laufen praktisch ein Geschoss tiefer – stehen Fotos aus Nordkorea. Fotos, die man lieber nicht sehen will. Ich glaube diesen Bildern. Es passt in diese Kultur. Sollten die da im Norden eine pseudo-kommunistische Diktatur haben, müssen die Auswüchse schlimmer sein, als wir uns das vorstellen wollen. Die Bilder zeigen hungernde Kinder, abgehärmte Frauen und Männer auf schlammigen Straßen inmitten von Betonbauten. Im Hotel wird ein Ausflug nach Panmunjom angeboten. Ich denke, da die Fotos wie mit Teleobjektiv geschossen wirken, dass wir genau das dort sehen könnten.

Der Fluss wird breiter, ruhiger; es gibt sogar Enten und Fische inzwischen. An der linken Seitenwand, neben der wir laufen, sind jetzt weiße Kacheln zu sehen, mit kleinen gezeichneten Männchen. Uwe bezeichnet sie als den Fürstenzug von Seoul. Und genau das ist es auch, wenn auch im Fast-Strichmännchen-Format.  Über dutzende Meter zieht sich das Kunstwerk. Es ist eine Übertragung aus einem koreanischen Buch. Sehr gut gemacht.


Der erste öffentliche Park Seouls ist eine Mischung aus Kleingartenparzelle, purem Patriotismus und Museum. Der Rundgang ist nach 10 Minuten erledigt. Um einen Pavillon mit mongolisch wirkendem Flötenspieler gruppieren sich eine verglaste Pagode, ein Tempelchen mit Schildkröte und eine Heldenmauer. Auf zwei Dutzend Bronzereliefs leiden heldenhafte Koreaner unter den japanischen Kolonialherren. Die japanische Besatzung muss sich tief in das kollektive Bewusstsein eingegraben haben. Die Japaner sind scheinbar auch noch immer bei vielen Leuten verhasst. Die Reliefs strahlen sozialistischen Realismus Stalinscher Prägung aus. Allerdings sind wir in Seoul, nicht in Pjöngjang.  Der Park lädt nicht besonders zum Verweilen ein. Erstens ist das Wetter bescheiden, zweitens lungern an allen Ecken seltsame Männer mittleren Alters herum. "Alles Dealer", meint Uwe. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, mit was die hier dealen...



Vom Park zweigt schräg die Kunstläden-Meile für Einheimische und Touris ab. Es gibt ein paar witzige Dinge, aber ich bin nicht ganz bei der Sache. Mein Magen grummelt und so ist dann auch die Apotheke auf der halben Strecke der interessanteste Laden überhaupt. Der Verkäufer kann nur drei englische Worte, aber das sind die entscheidenden! Wir bekommen eine Packung koreanischer Wundermedizin gegen Durchfall und hoffen einfach mal. 

Da gibt es etwas, was mich wirklich reizt. Wunderbar gefertigte Pinsel für Kalligrafie, in allen möglichen Größen. An den Preisen erkennt man, dass es sich nicht nur um Künstlerbedarf handelt, sondern dass der Pinsel an sich schon Kunst ist. Ich weiß, dass ich solch einen Pinsel nie wirklich nutzen würde. Ungewöhnliches Souvenir? Verschenktes Geld? Die Entscheidung wird auf morgen vertagt. Am Ende der Meile versuchen wir zunächst eine Teestube, aber der Plüsch treibt uns wieder hinaus. Gleich daneben lockt ein Café mit wunderbarem Duft nach Frischgebackenem und Zimt. Wir bekommen nicht heraus, welches der vielen Teilchen diesen Duft ausströmt. Und ich will sowieso nur grünen Tee, um mir ein Doppel Wunderpillen runterzuspülen. Uwe gönnt sich irgendwas und ich schau zwei Angestellten zu, die mitten im Laden Kuchen formen und Brotteig in Kastenformen drücken.  

Nächstes Ziel ist der Königspalast Gyeongbokgung. Wie bei den meisten koreanischen Wörtern sollte man nicht versuchen, es aussprechen zu wollen. Gyeonwatweißich ist eine kleine Ausgabe der Verbotenen Stadt in Peking. Hast du eine verbotene Stadt gesehen, hast Du...  Allerdings haben die Koreaner sich etwas einfallen lassen, um ihr Palast-Areal ein wenig anders aussehen zu lassen als das in Peking. Alle begehbaren Flächen sind mit feinem gelben Sand ausgestreut. Kommt gut bei mildem Frühlingswetter zwei Tage nach dem letzten Regenschauer. Kommt schlecht bei  Schnee oder Tauwetter. Genau das haben wir abgefasst. Im Boden steckt noch Frost, das Schmelzwasser kann nirgendwo hin. Wir patschen durch den königlichen Modder, springen im Matsch von Insel zu Insel. Und nach einer Stunde sehen wir ganz toll aus. Uwe erklärt mir die koreanische Kultur. Demnach kann man am Dach der Häuser in der Königsstadt erkennen, wie hochgestellt der Bewohner war. Ein einfacher Hofbeamter hat zwei bis vier Reiter auf dem Dach - so wie ich es erkenne, sind es Tiere der unterschiedlichsten Art. Das eigentliche Haus des Königs hat acht Dachreiter.   In weiterem Gegensatz zu Peking stehen in Seoul echte Wachmannschaften vor dem Palast, allerdings mit falschen Bärten. 

Sie bewachen auch nicht wirklich, man kann sich ziemlich frei durch das Gelände und die meisten Gebäude bewegen. Am Thronsaal wollen wir den farbenprächtigen Innenraum fotografieren, als sich drei Koreaner an die Balustrade drängeln und wackeln, was das Zeug hält. Es ist so was von sichtbar, dass Uwe gerade seine Kamera auf der Absperrung abstützt, um möglichst zitterfrei den Innenraum abzulichten. Keine Chance. Auch ein paar böse Blicke in Richtung der koreanischen Volksgenossen helfen nicht. Wir nehmen die nächste Öffnung (das Gebäude hat keine Fenster, es werden Holz/Papier-Wände am Tag hochgeklappt und dan der Decke aufgehangen). Hier ist Ruhe und ich kann mich weit in den Raum hineinlehnen und Alarm auslösen. Allgemeines Aufsehen, ich bin in Nullkommanix aus der Öffnung raus, unsere drei koreanischen Freunde dagegen in Nullkommanix bei uns, lehnen sich in den Palast und wedeln mit den Armen. Keine Ahnung, weshalb der Alarm bei ihnen nicht anspringt. Ich gucke mich noch drei mal um, sehe zwei grinsende Sicherheitsleute und denke mir, dass die bestimmt ne Fernbedienung in Hand versteckt halten. Wir irren noch ein wenig durch die ehemalige Wohnstadt des Hofes und nun kommt die Klo-Geschichte Nr.2:   


Wenn schon mal eine Toilette am Wegesrand liegt und es im Magen rumpelt, sollte man ja vielleicht doch mal... Ich kämpfe mich also durch königsgelben Schlamm zum Palastklo, das fast so aufgebaut ist, wie die alten Bauten daneben. Sprich: es zieht quer durch! Egal, ich sitze schon. Aber nicht in Ruhe. Die freundliche koreanische Toilettenfrau ist wahrscheinlich stinksauer, dass kurz vor Feierabend so'n blöder Tourist noch mal alles gelbsandig betapst. Und die Wut muss raus! Das Herrenklo wird zwangsgeputzt. Sie knallt mit ihrem Wischer durch die Kabinen. Als der Wischer das erste Mal unter der Wand zu meinem Sitz durchfeudelt, kann ich gerade noch die Füße hochreißen. Falsche Reaktion: Das Putzwunder fühlt sich ermutigt. Ich muss mal kurz laut werden, damit sie Ruhe gibt.

Am Abend landen wir wieder bei unserem Korean Barbeque. Diesmal schmeckt es mir nicht. Liegt aber wohl an meinem Allgemeinzustand.

9.12. Frank allein unterwegs

Uwe muss arbeiten und fährt am Morgen quer durch Seoul. Es gibt einen netten Weckruf für den Frank und ein spartanisches Frühstück. Nur Bananen, Brot und schwarzen Tee traue ich mir zu. Dazu zwei der koreanischen Wundertabletten. Ich schreibe im Zimmer noch etwas am Tagebuch und freue michüber die doch zahlreicher werdenden Reaktionen. Und dann geht's los. Nach ausführlichem Kartenstudium streiche ich zwei potentielle neue Ziele und entscheide mich für eine ähnliche Route wie am Vortag. Schwerpunkt: "Was kaufen!". U-Bahn mache ich mit links. Ist allerdings falsch. Nach rechts wäre besser gewesen. Die grüne Linie ist ein Rundkurs. Als der Zug nach der Flussüberquerung nicht mehr unter die Erde zurückkehrt, merke ich, dass wir gestern irgendwie anders gefahren sind. Und ich schnalle: rechtsrum 10 Stationen, linksrum 18 Stationen. Dumm gelaufen. Na gut, schauen wir mal aus dem Fenster, was uns das koreanische Wohnungsbauprogramm noch so zu bieten hat. Tristesse, Tristesse, Tristesse. Gehüllt in einen zarten Smog. Man ist nicht böse, wenn der Zug irgendwann doch wieder unterirdisch fährt. Namdaemun ist nochmal der Beginn meiner Allein-Tour.  Ich komme von einem anderen Metro-Ausgang in den Markt und alles ist anders. Es gibt kaum Weihnachts-Schnickschnack, dafür Klamotten ohne Ende, von übelster Qualität bis annehmbar. Es riecht wie immer ungut und ich versuche, wieder auf die Straße mit dem Weihnachtszeug zu kommen. Die Eiszapfen aus dem Hotel reizen mich doch sehr. Ich sehe diese LED-Röhren nur einmal - und da kann man nicht von Zapfen sprechen. Die Röhren sind mehr als daumendick, die Schaltkreise stechen einem richtig ins Auge. Nee - das will ich nicht haben. Zudem folgt mir der kleine koreanische Ladenbesitzer auf Schritt und Tritt, schnalzt dauernd seltsam in seinem Mund und wittert das Geschäft. Ich mache mich aus dem Staub. Noch eine neue Seitenstraße. Hier gibt es vor allem Küchengerät und noch mehr unangenehme Gerüche. Es wird regelrecht unaushaltbar. Und nach der nächsten Ecke sehe ich auch den Grund: Fisch, Meeresgetier, Algen, Garküchen, Kimchi. Alles in einer Gasse und alles riecht vor sich hin. Trotz allem sieht es an den Garküchen sehr interessant aus. Aber ich getrau mich nicht, bin froh, dass mein Inneres bis jetzt mitmacht.


Die Kunst-Gasse steht als nächstes auf der Liste. Irgendwas muss ich jetzt kaufen. Ich schau mal da und mal dort und bin schließlich durch - ohne Geld ausgegeben zu haben. Allerdings hab ich einen Notkauf im Hinterkopf. Ein Korea-T-Shirt für 3 Euro kann man sich eigentlich mitnehmen. Also geht's die Straße wieder hoch. An dem Laden werde ich sofort mit Shirts zugeschüttet, als mein Interesse sichtbar wird. Ich nehme auch noch ein paar schön gestaltete Kugelschreiber mit und bin plötzlich sehr erleichtert.  Endlich was gekauft! Das fühlt sich richtig gut an. Es folgen Postkarten und ein Set Sake-Schälchen.


Ich fahre in die Ecke mit den Elektronik-Geschäften am Bahnhof. Der letzte Versuch, an die blinkenden Eiszapfen zu kommen. Nach einer Stunde Kaufhaus gebe ich auf und beschließe, "mal kurz" über zwei Straßen zu einer für mich günstiger liegenden U-Bahn-Station zu wandern. Die zwei Straßen beherbergen Seouls Rotlicht-Viertel, wie ich kurz darauf feststelle. Vor lauter Schreck und vor viel Unübersichtlichkeit verpasse ich die Metro-Station. Zu meinem Glück, denn es gibt abseits ja oft sehr interessante Einblicke. Zum Beispiel werden in Korea genauso gnadenlos alte Wohnviertel abgerissen wie in China, um Hochhäusern Platz zu machen. Im Gegensatz zu China regen sich westliche Gutmenschen aber hierüber nicht auf. 

   

Der Seoul-Tower: Im Foyer eine Liste der höchsten Fernsehtürme und unter den ersten und deutlich vor Seoul: Berlin.




Und was trinkt der Koreaner traditionell nach einer Fahrt auf den Seoul-Tower?

Richtig: Gluhwein!