Statusbericht Einchecken:
Das muss man ihnen lassen: alles gut organisiert, alles klappt. Nur die
Passagiere sind etwas beknackt. Das Café macht auf und die Leute stürmen es.
Auch beim ersten Abendbrot: ein Teil verlässt das Restaurant nicht (das kurz
schließt und gesäubert wird für Durchgang Nummer 2). Dadurch entsteht eine
Verzögerung und das anstehende Volk ist kurz vor der Revolution. Wenn sie doch
mal für mehr Gerechtigkeit so auf die Barrikaden gehen würden...
Die Kabinen sind gut: viel Stauraum, gutes Bett, gutes Bad, Balkon ausreichend.
Wir werden zurecht kommen.
Im Schiff allgemein zurechtzukommen, wird ein, zwei Tage dauern. Man kann sich
schon verlaufen. Und man kann jeden Tag mindestens drei Mal über die
Himmelsrichtungen nachdenken. Dazu können einen die Gänge, an denen die Kabinen
liegen, doch verwirren. Lediglich treppauf-treppab ist genauso wie auf dem Land.
Am vorletzten Tag will sich Uwe allerdings von Etage 9 nach oben bewegen, um auf
Gang 8 zu kommen...

Bild 2


Mir ist noch immer nicht schlecht. Ich habe schon etwas Ingwer gekaut, aber
eigentlich war es wohl nicht nötig, sondern nur scharf. 


Bei einer Kreuzfahrt muss man die ersten zwei Tage durchstehen, Aufregerköpfe,
Wichtigtuer, Drängler und Besserwisser zum PAL erklären (Problem anderer Leute)
und dann locker werden. Gut - für einige ist das unerreichbar, aber eigentlich
ist es nicht schwer. Wir rutschen da richtig gut rein. Wir haben allerdings auch
gleich nach dem Einchecken die Prüfung in der Königsklasse bestanden. Beim
Bestätigen unserer Restaurantreservierungen müssen wir anstehen - mit Herrn
Doktor Ichwarmalwer und Gattin Ichkannauchganzanders! Die erklären uns erstmal,
dass alles ganz anders ist, als wir es gelesen haben. Dann kurze Stille, als sie
schnallen, dass wir aus dem Osten sind. Die nächsten Minuten wird uns erklärt,
wie schlimm sie als Wessies bespitzelt wurden von der Stasi und wie dreckig es
uns doch ging in der Zone. Höre ich immer wieder gern. Dr. Ichwarmalwer erzählt
von den Wanzen im Täve-Schur-Stadion in Leipzig. Uwe weist ihn kurz daraufhin,
dass das Rad-Stadion nicht nach olle Täve benannt war. OH DOCH, da sei er sich
ganz sicher, er sei schließlich oft in der Zone gewesen und auch einmal in
Leipzig. DEFINITIV NICHT, kontert ein noch sehr gefasster Uwe. Er sei
schließlich in Leipzig aufgewachsen und habe dort Sport studiert. Ruhe. "Aber
die Brötchen waren gut im Osten", sagt Frau Ichkannauchganzanders, "zwar winzig,
aber gut." Wir nicken. Der Stewart beherrscht sein Reservierungsbuch nicht. Wir
müssen weiter bei Wer&Ganzanders stehen. Er ist schon wieder bei einem Rennen im
Täve-Schur-Stadion angekommen, sie erzählt mir, dass es in Baden-Württemberg
ähnlich schlimm sei wie in Sachsen - äh...sprachtechnisch gesehen. Jetzt würde
ich gern mit meiner Freundin Almut um die Wette grinsen. Aber Almut ist nicht da
und ich habe gerade das PAL-Stadium erreicht. Es gibt Champagner - wegen der
Warterei. Und es gibt einen kleinen Rempler, weil Frau Ganzanders dem
Nächstvorderen immer mehr auf die Pelle rückt. Der beschwert sich kurz,
Ichwarmalwer entschuldigt sich für die Gattin und holt dann zum verbalen
Gegenschlag aus. Der Nächstvordere kommt irgendwie aus dem Norden und muss in
puncto Gegenschlag keinen Wettkampf scheuen. Die Situation eskaliert. Frau IKAGA
zeigt nämlich, wie sehr sie auch anders kann. Ich bin froh, dass sie höchstens
165 hoch ist, fürchte aber trotzdem, dass sie dem grinsenden Fischer an die
Gurgel springt. Wir bringen uns in einen sicheren Abstand und sind sehr erfreut,
als die Seenot-Rettungsübung angekündigt wird. Zwar war das Anstehen umsonst,
dafür können wir uns grußlos von dannen schleichen...


1. Seetag: 

"You Mister! Mister?! Ja, You Mister! That's no good. No good! You understand?"
Ich kann nichts Schlechtes an dem Frühstücks-Speck erkennen. Bacon, wie er sein
sollte. Aber Großdeutschland im schwarzen T-Shirt und mit hochrotem Aufregerkopf
muss den kleinen Philippinos natürlich erstmal zeigen, wo der Hammer hängt. Der
Kellner räumt die Bacon-Schale wortlos weg. Wieder einen Gast glücklich gemacht.
Das Leben kann so einfach sein.

Bergen: 

DAS WAR'S? Ein knappes Dutzend windschiefe Holzhäuser mit Tinnef-Läden?
Der erste Landgang beginnt enttäuschend. Das Wetter ist nicht der Brüller, die
vielgerühmte Häuserzeile Bryggen ist es auch nicht. Wir schlendern weiter zum
Fischmarkt. Schon besser. Es gibt Action, weil mein Vater das erste Mal
Fellmützen sieht, und es gibt was für's Auge, weil Unmengen an Fisch und
Meeresgetier angeboten werden. Jetzt ist Bergen halbwegs so, wie3 ich es mir
vorgestellt habe. Nächster Punkt: die Seilbahn. Der klug berechnete Schwenk über
den Fischmarkt hat uns keinen Vorteil verschafft, was das Anstellen betrifft.
Auch wenn der erste Schwung vom Schiff schon durch ist - Schwung 2,3,4 bis 9 von
anderen Schiffen und Bussen stehen inzwischen an. Meine Eltern übernehmen den
Job und reihen sich ein. Wir biegen in ein Seitengässchen. Ja - auch so sollte
Bergen aussehen. Nette kleine Holzhäuser, Kopfsteinpflaster, Kunst-Läden, Cafés,
Ökologisk Bakeri-en im Zwei-Minuten-Takt. Wir laufen einen großen Bogen, den Uwe
fortwährend vergrößert, während ich fortwährend nervöser werde. Meine Eltern
sind bestimmt schon am Schalter. Ganz bestimmt. Die nächste Seitenstraße ist
gesperrt, wir müssen den Bogen weiter vergrößern. Mein Schritt wird schneller.
Meine Eltern allein im Ausland, an einem fremden Fahrkarten-Schalter, an einer
fremden Seilbahn. Und Uwe wird immer langsamer! Endlich wieder Hauptstraße, es
geht straff bergauf. Und meine Eltern sind nirgends zu sehen. Nirgends in der
endlosen Schlange. Doch - ganz vorn - na fast. Ich bin etwas außer Atem, als ich
sie erreiche. Uwe kommt zwei Minuten später und berät dann zehn Minuten mit
Lothar technische Details des Ticket-Erwerbs. Ich muss viel ruhiger werden. Und
ich brauch größere Eltern!

    Bild 3-6

Die Einheimischen haben vorn ein eigenes Abteil in der Bahn. Das gönne ich
ihnen. Ich werde vor zwei übergewichtige, Krücken schwingende Mieslinge
gequetscht. Die sitzen nicht freudig auf ihrer Bank wie meine Ellies. Die
starren mich böse an, weil ich ihnen die Sicht nehme. Ruhig bleiben und weiter
lächeln. 300 Meter höher, die automatischen Türen sind noch nicht aufgegangen,
knallt Herr Miesling den Satz "Ob man hier vielleicht auch mal vorbeigelassen
wird!" in die Stille. Kann eigentlich nur an mich gehen, den wahrscheinlich
eingequetschtesten Menschen im Zug. Oben kommt die Sonne raus. Bergen, die
regenreichste Stadt Europas, bietet jetzt alles auf. Ein grandioser Blick. Ja -
hat sich gelohnt.
Auf dem Rückweg stolpern wir vor "Bryggen" über das UNESCO-Schild. Die paar
Häuser sind Weltkultur-Erbe? Haben wir was verpasst? Aber sowas von! Die
Häuserfront ist nur der Eingang zu einem Stück nordischen Mittelalters. Schmale
Gassen aus Holzbohlen trennen mehrfach aufgestockte Holz-Handels-Wohn-Gewerbe-Häuser.
Brücken verbinden die Gebäude schräg und quer von Haus 3 links 2 Etage zu Haus 4
rechts 3 Etage. Am Ende ein gepflasteter Innenhof, von dem weitere Gebäude
abgehen. Cafés, Restaurant, Kunst- und ...Fellmützen-Läden. In meinem Vater
erwacht das Jagdfieber. Das muss meine Mutter geahnt haben, sie ist schon auf
dem Schiff und kann keine Mütze mehr aufgesetzt und verpasst bekommen. Liebe
Jagdfreunde in Schönberg - auch in diesem Jahr werdet ihr keinen Zobel oder
Bären durchs Gebüsch schleichen sehen. 


Geiranger:

Ich bin mal früh aufgestanden. Wir fahren gegen acht Uhr in den Geirangerfjord, das sollte man sich ansehen. Den Anfang nehmen wir vom Balkon mit, dann schaffen wir es auf's Sonnendeck - zusammen mit 50 Prozent der Mitreisenden.  Es wird Musik zelebriert, das machen sie ja eh gern auf dem Dampfer. Und dann lektiert der "Lektor" kluge Dinge über den Fjord. Und alles schaut und ist kurz davor, "AHHH" zu machen. Ich bin kurz davor, wieder einzuschlafen. Langsam und deutlich zu sprechen, ist ja okay, aber doch nicht sooooo langsam.              Und nun biegen Sie bitte rechts ab: Geirangerfjord



Der erste Ausflug per Tender und schon sind wieder alle völlig wuschig. Obwohl die Scouts nur kleine Gruppen zu den Booten schicken - oder besser: es versuchen - bricht auf den Treppen nahezu Panik aus. Ich halte mich krampfhaft vor meinen Eltern, da Gefahr droht, dass die Meute die nicht ganz so fußfixe Doris die Stufen herunterstößt. Und dann kommt die Masse zum Stehen - die Tenderboote sind noch gar nicht bereit. Von oben wird weiter gedrängt, die Leute rücken mir unschön auf die Pelle. In vorderster Front funkeln die verbissenen Augen von Frau Ikaga. Ihr Mann erklärt armen Schweinen hinter mir die die Welt. Abgase der Boote steigen das Treppenhaus hoch. Die Leute husten. Eine Frau weiter vorn schnallt, dass sie im falschen Treppenhaus ansteht. Nein - keine Steinigung, noch nicht. Plötzlich setzt Schieben ein. Die Tender sind frei. Frau Ikaga ist irgendwie an mir vorbeigekommen. Sie kann ja auch ganz anders. Kurze Überfahrt nach Geiranger und dann das nächste Drängeln an den Bussen. Busfahrt auf das Dach der nördlichen Welt. Enge Straßen, zu viele Busse. Alle fünf Minuten müssen wir warten, unser Zeitplan wankt. Ich bin etwas abwesend, fast am verzweifeln über die Menschheit. Aber dann sind wir auf dem Dach des Nordens. Und hier ist es verflucht schön, kein Wunder das es dafür den ersten Preis in Landschaftsgestaltung gab. Auf dem Dalsnibba scheint sogar die Sonne  - außer für ein Caravan-Pärchen, das nur mal kurz geparkt und sofort Ichwarmalwer und Ichkannauchganzanders auf dem Hals hatten.  Tenderboot = Massenpanik

Unser Schiff sieht ganz klein aus - so 1500 Meter tiefer.Da hatte ich sie noch - und sie sah gar nicht mal schlecht aus - diese Sonnenbrille:

Nordkap, Mittsommer, 21. Juni, Mitternacht

Mit Kapsen ist es wie mit Tempen: Hast Du einen gesehen, hast du alle gesehen! Das Nordkap macht nur insofern eine Ausnahmen, dass es an sich eine felsenfeste Lüge ist. Es ist nämlich NICHT der nördlichste Punkt Europas. Der liegt ein paar hundert Meter westlich und hat das Pech, flach wie 'ne Flunder zu sein. Macht einfach nix her, diese Landzunge. Also hat das benachbarte Kap einen coolen Namen, eine Metall-Kugel und drei Etagen Einkaufs- und Erlebnis-Center bekommen. Außerdem fasst es deutlich mehr Wolken ab - liegt ja auch 300 Meter höher, das Ganze. Wir tuckeln also ums Kap, ankern 20 km südlich und fahren dann per Bus ins schlechte Wetter. Ganz vorn im Bus, direkt hinter der Panorama-Scheibe sitzen Herr Ichwarmalwer nebst Gattin. Hatten die uns nicht belehrt, dass man am Nordkap keinen Ausflug buchen sollte, sondern mit dem Taxi besser dran sei?


Auf dem Felsen selbst haben zwei Dutzend Busse gerade ihre Ladung Menschen ausgespuckt. Alles rennt zu einem hässlichen Betonsockel, der ein stählernes Weltkugel-Gerippe trägt. Es ist das einzige Foto-Motiv weit und breit und und hat einen ähnlichen Status wie der schiefe Turm in Pisa. Dort stellt sich jeder Depp schräg hin und stützt imaginär den Turm, hier will jeder die Welt in den Händen halten. Wir schauen uns das 'ne spöttisch Weile an - und machen mit. Danach das obligatorische Foto direkt auf dem Sockel. Und danach - der Regen und der fette Nebel.